Reiseverlauf – Teil II

 

Bild 9 - Vorlage

Sechsunddreißig Schlafpritschen durchziehen auf zwei Stockwerken und in drei Reihen den Bus. Dazwischen sind ungefähr fünfunddreißig Zentimeter Platz. Ich quetsche mich an den Pritschen vorbei und ecke überall mit meinem Rucksack an. Jede Pritsche misst vierzig Zentimeter in der Breite und hat einen Stauraum von der Größe eines Schuhkartons am Fußende. Ein Kopfkissen und eine Decke liegen bereit.

 

 

 

 

 

Bild 10 - Vorlage

Wir holpern auf einer Sandstraße vorsichtig durch die Nacht und geraten in einen Sandsturm. Der Busfahrer fährt mit den LKWs auf Tuchfühlung. Uns trennt kein Meter von der Stoßstange des Vierzigtonners vor uns. Die Sichtverhältnisse sind miserabel. Bodenwellen lassen die Stoßdämpfer ächzen. Verkehrsschilder geben eine Höchstgeschwindigkeit von zwanzig Stundenkilometern vor. An Schlaf ist nicht zu denken. Feiner Staub dringt in den Innenraum. Atmen ist nur noch mit Taschentuch vor dem Mund möglich. Wann hat der Wahnsinn ein Ende?

 

 

 

 

 

Bild 11 - Vorlage

Vor meinem Fenster schneidet ein Metzger im Brustkorb einer geschlachteten Kuh herum und versucht, ein Stück Fleisch freizubekommen. Der Torso hängt an einem Eisenhaken keinen Meter von unserem Bus entfernt. Geräuchert wird das Fleisch in den Dieselabgasen. Ein Huf liegt in der Bordsteinrinne. Vor den Innereien sitzt eine Katze in Lauerstellung. Fliegen kreisen wie Segelflugzeuge über dem aufgehängten Fleischbrocken.

 

 

 

 

 

Bild 12 - Vorlage

Ich tauche in eine andere Welt ein. Massen an gläubigen Pilgern gehen betend die Straße entlang. Die Tibeter murmeln Gebete vor sich hin. „Om mani padme hum, om mani padme hum“ rezitieren die Gläubigen das wohl bekannteste Mantra der buddhistischen Lehre. Sehr devote Pilger werfen sich auf den Boden und verbeugen sich. Arme und Beine sind ausgestreckt. Körperlänge um Körperlänge bewegen sie sich jeden Tag auf dem „Barkhor Kora“ fort, einem rituellen Pilgerweg, der im Uhrzeigersinn um den Jokhang-Tempel, dem wichtigsten religiösen Bauwerk Lhasas, absolviert wird.

 

 

 

 

 

Bild 13 - Vorlage

Lhasa ist das spirituelle Zentrum des tibetischen Buddhismus und Stadt der Götter. Im Jokhang-Tempel schlägt das religiöse Herz Tibets. Sein Haupteingang wird vom Rauch zweier mächtiger „Sangkangs“, Öfen aus Stein zum Verbrennen von Weihrauch, eingenebelt. Das Räucherwerk soll die Tore des Himmels öffnen und die Götter gnädig stimmen.

 

 

 

 

 

Bild 14 - Vorlage

„Eine der bekanntesten Schutzgottheiten ist der dicke Chana Dorje, der in Sanskrit ,Vajrapani‘ genannt wird. Er ist der ,Bodhisattva der Energie‘. Chana Dorje bedeutet ,Donnerkeil‘. Siehst du, er hält ihn in seiner Hand. Der Keil ist das fundamentale Symbol des tantrischen Glaubens.“ Überall im buddhistischen Himalaya habe ich diesen Bodhisattva, der immer mit blauer Hautfarbe dargestellt wird, gesehen. Seine Fratze schreckt Dämonen und böse Geister ab.

 

 

 

 

 

Bild 15 - Vorlage

Auf dem Platz vor dem Jokhang-Tempel hat es immer wieder gewaltsame Auseinandersetzungen gegeben. Hier formierte sich der tibetische Widerstand. Proteste in der Vergangenheit forderten Verletzte und Tote. Logischerweise ist die Militärpräsenz massiv. China ist nervös. Auf dem Platz weist noch ein Blumenarrangement auf die Annexion Tibets vor sechzig Jahren hin.

 

 

 

 

 

Bild 16 - VorlageYangkyi führt mich durch das berühmte Kloster und bemerkt meine Begeisterung. „Ja, mein Lieber, hier triffst du wieder auf die Mongolen. Wusstest du, dass Sakya Panditas Neffe Pagpa nach seinem Tod die Macht übernahm und von Kublai Khan die uneingeschränkte Regentschaft über das Schneela
nd erhielt?“ Yangkyi lacht, als sie mein Gesicht sieht.

 

 

 

 

 

Bild 17 - VorlageEine unendliche Sand- und Geröllwüste, die nur von dem oberen Tal des Yarlung Zangbo, auch als Brahmaputra bekannt, durchschnitten wird, trifft erst am Horizont auf eine Mauer aus Eis und Schnee. Mit dem Everest, Lhotse, Makalu, Cho Oyu und dem Shishapangma stehen fünf der höchsten Berge der Welt jetzt direkt vor mir. Wolken verdecken die meisten Spitzen der Bergmassive, sodass ich deren Form nur erahnen kann.