Songkran 2014

Bangkok unter Belagerung

Krieg herrscht auf den Straßen. Bewaffnete Truppen marschieren auf. Köpfe schauen vorsichtig aus leicht geöffneten Fenstern heraus und beobachten die Szenerie. Es ist drückend heiß. Hier und dort flitzen die Bewohner der Straßen zur anderen Seite und verschwinden in sicheren Hauseingängen. Gruppen von fünf bis acht Personen mit dunklen Sonnenbrillen sitzen auf den Laderampen ihrer Pick-up Trucks um riesige Wasserwannen herum und suchen nach Opfern.

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Es wird auf alles geschossen, was auch nur annähernd trocken ist. Auf Guerillaattacken spezialisierte Motorradeinheiten fahren von hinten an Fußgänger heran und beschießen sie erbarmungslos mit Wasserbazookas. Ich schaue in unzählige Gewehrläufe. Mobile Wassertanks auf dem Rücken sorgen für zusätzliche Munition. Zu ihren Opfern gehören wehrlose Passanten in Linienbussen, die Wassersalven durch das offene Fenster abbekommen, oder Spaziergänger, die die Bürgersteige entlang laufen. Mit Plastikkannen und Schöpfkellen kippen die Bewohner Bangkoks ihnen das kalte Nass in den Nacken oder über den Kopf. Mächtige Regentonnen liefern prall gefüllt unaufhörlichen Nachschub. Die Anwohner quietschen vor Freude und feiern mit diebischem Vergnügen „Songkran“ – das thailändische Neujahrsfest.

 

 

Songkran1Aus dem Fortville Guesthouse schaffe ich es trocken über die Phra Sumen Road zu meiner bevorzugten Garküche und bestelle mir eine Wantan Suppe. Niti, der Koch schaut mich verwundert an und sagt: „Noch trocken?“ „Ja, Glück gehabt!“ Grinsend bereitet er mir mein Gericht zu. Sehe ich da ein Blitzen in seinen Augen? Nebenan brutzeln Schweinespieße auf dem Holzkohlegrill. Reisgerichte mit höllisch scharfer Note werden angeboten. Der Geruch von gebratenen Chilis und Knoblauch wabert durch die Straße. Während ich meine Suppe schlürfe, schüttet mir der Koch eiskaltes Wasser den Rücken runter: „Sawatdipi mai – Frohes Neues Jahr!“ „Ich dachte, hier wäre ich sicher?, entgegne ich. „Nix da! Du warst noch nicht nass und mein Name bedeutet ,Gerechtigkeit‘. Die musste ich walten lassen.“ Lachend kassiert er einen anderen Gast ab.

Das Epizentrum der Wasserschlacht finde ich auf der Khaosan Road. Technomusik hämmert durch die Häuserreihen. Tausende Menschen tanzen zum Rhythmus der wummernden Bässe und beschütten oder beschießen sich gegenseitig. Die Mitarbeiter der ,Dental Clinic‘ haben noch die Schutzvisiere von der letzten Zahnbehandlung an. Zwischen jeder Attacke bekommt man eine in Wasser aufgelöste weiße Talkpaste auf die Wangen aufgetragen – symbolisch wird mit dem ,Puder‘ das Ende des Bades signalisiert. Die Straße sieht danach aus, als wäre ein Sandsturm durch sie hindurchgefegt. Mir schmieren die Thais gleich den ganzen Kopf ein: „Sorry!“

Die Tränen des Buddhas

Zurück zum Fortville Guesthouse. Dort haben zwei kleine Jungen mit gewaltigen Wasserkanonen den Kampf gegen das Hotelpersonal aufgenommen. Wild und furchtlos greifen sie an, nur um immer wieder zurückgedrängt zu werden. Die beiden erinnern mich an die Protagonisten aus S.P. Somtows Roman „Die Tränen des Steinbuddhas“, jener Geschichte über zwei Kinder vom jeweils anderen Ende des sozialen Spektrums der thailändischen Gesellschaft.

Songkran7Somtow schildert, wie der Politikersohn ,Nen Lek‘ mit dem Slumjungen ,Boy‘ im Kloster einer rituellen Waschzeremonie beiwohnen und der Abt das Antlitz des Steinbuddhas mit Wasser übergießt. An den Augenrändern bleiben Wassertropfen hängen – der Buddha weint. Boy sagt dazu: „Die Tränen Buddhas zu sehen, war für mich der Augenblick, an dem ich die Realität verließ und in eine Zeit der Legenden und Wunder wechselte.“ Und wahrhaftig bedeutet Songkran „bewegen“ oder „verändern“ und ist der astrologische Übergang vom altem zum neuen Jahr. Nach der Zeremonie erhalten die beiden Jungen zwei beeindruckende Wasserkanonen in fluoreszierendem Neongrün und machen sich wie die zwei Kleinen vor meinem Hotel auf die Jagd.

S.P. Somtows im Buch beschriebene Versöhnung der unterschiedlichen sozialen Klassen wird vielleicht für die Zeit des Songkran Festivals Realität. Die fragmentierte thailändische Gesellschaft scheint ihre sozioökonomischen und politischen Differenzen zu überwinden. Rothemden oder Gelbhemden verschwinden, nur nasse Hemden sind auszumachen. Die Unterschiede in der Stadt sehe ich dennoch vom Hotel aus. Während auf der Phra Sumen Road die Party tobt, liegt vergessen auf der anderen Seite des Fortville Guesthouses die ruhige Wasserwelt des Klongs. Ein einsames Boot mit drei fischenden Kindern treibt an mir vorbei. Es riecht nach Klongschlamm, Motortreibstoff und Jasminblüten. Wäscheleinen überspannen den Kanal. Darunter treiben Colaflaschen und Pappkartons auf der braunen Brühe. Das Summen der Moskitos ist überall präsent. Gebäude kommen und gehen wie die Regen- und Trockenzeit. Die von weitem hörbare verführerische Musik des Neujahrsfestivals interessiert die drei im Boot jedoch nicht.

Säuberung und Erneuerung im Paradies

Songkran605:30 Uhr in der Frühe. Müde Gestalten versammeln sich vor dem Bus nach Chumphon. Die Tür schließt sich und die Insassen fallen ins Delirium. Bangkok schwitzt mit ihnen einen kollektiven Songkran-Rausch aus. Langsam löst sich das Wirrwarr aus Autobahnzubringern auf. Reklameposter für Instantkaffee, Fischsoße und Bier vergilben an den Betonwänden der Vorstädte. Das Grau der Bebauung macht Platz für Ackerflächen und Wasserbecken der Salzkooperativen, die als Unterstützung eine Songkran-Armee im Kampf gegen die Verdunstung gebrauchen könnten. Wir passieren goldene Buddhastatuen und Stupas. Kurz vor Chumphon beginnt der zweite Busfahrer damit, Wasser aus einer halbierten Plastikflasche durch das Busfenster auf vorbeifahrende Motorräder zu schütten. Draußen höre ich das Kreischen der Verkehrsteilnehmer, drinnen das herzhafte Lachen der Fahrer. Der letzte Tag des Neujahrsfestivals ist angebrochen. Das Wasser zapfen sie aus dem Tank für die Toilettenspülung. Nebeneffekt? Kurz vor dem Hafenpier für die Fähre nach Koh Pha Ngan geht auf dem Klo die Spülung nicht mehr und bei offener Tür dringt der Uringestank zu uns nach oben.

Songkran8Wandee an der Rezeption der Beach Lodge auf Koh Pha Ngan ist Halbburmesin und begrüßt mich höflich: „Suk san wan songkran – Frohes Songkran, Mister Marcus.“ Während meines Aufenthaltes komme ich mit ihr öfters ins Gespräch. Sie hat eine andere Art der ,Erneuerung‘ im Kopf. „Noch fünf Jahre möchte ich als Gastarbeiterin in Thailand arbeiten. Danach geht es zu meiner Familie nach Mawlamyaing im Süden Burmas zurück. Ich besitze Land und werde dort ein kleines Hotel eröffnen.“ Ich gebe eine alte burmesische Redensart zum besten: „Mandalay fürs Reden, Rangon fürs Prahlen und Mawlamyaing fürs Essen“. „Richtig, Marcus. Aber wusstest du, dass es dort die ,Kopfwaschinsel‘ gibt? Auf ihr wusch man Jahrhunderte lang den burmesischen Königen während der burmesischen Variante des Neujahrsfests, ,Thingyan‘ genannt, die Köpfe und reinigte sie symbolisch von ihren Sünden des Vorjahres.“ Ich staune nicht schlecht. „Zeit für eine Veränderung!“, scherze ich, verabschiede mich mit Schnorchel und Maske Richtung Strand und tauche ein in die paradiesische Unterwasserwelt.

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