„Du, mach ein Foto von mir“, sagt er knapp, klopft mir auf die Schulter und stellt sich in Position. Ich drücke ab und zeige ihm das Ergebnis im Display meiner Kamera. „Gut, Cè zu bèh – Danke!“, ruft er mir hochzufrieden entgegen, hält mich fest und drückt mir ein Kokosnussbonbon in die Hand. So schnell wie er gekommen ist, verschwindet er wieder.
In diesen Alltag drang 2008 der Zyklon „Nargis“ ein und veränderte das Leben der Menschen grundlegend. Die Orte Thanlyin und Kyauktan wurden am schlimmsten von der Naturkatastrophe getroffen. Der Wirbelsturm vernichtete hier neunzig Prozent aller Gebäude und entwurzelte Palmen, die Menschen erschlugen. Eine gewaltige Wasserdecke zerstörte die Reisernte. In dem kleinen Örtchen Kyauk Ye Dwin parkt Ko Soe den Toyota vor dem „Su Taung Pyae Parahita“-Waisenheim, einem Kloster, das über fünfhundert Kinder aus vielen Landesteilen aufgenommen hat.
„Zarganar ist frei! Er wurde gestern endlich entlassen.“ Verwundert drehe ich mich um und sehe den jungen Ladenbesitzer vor mir stehen, wie er auf die Titelseite meiner „Myanmar Times“ zeigt, die ich zusammengefaltet unter meinem Arm trage. „Er ist einer von über 6000 Häftlingen, die Amnestie erhalten haben. Ich habe gerade erst den Artikel gelesen“, erwidere ich.
Innerhalb der nächsten vierzehn Tage sollen sich die Ereignisse überschlagen. Zarganar trifft Aung San Suu Kyi, die Ikone der Freiheitsbewegung Burmas. Sie hat ihm zu seiner Entlassung ein Buch geschenkt. Ein Foto auf der Titelseite der „Popular News“ zeigt beide an einem Fenster. Sie sprechen zu den Menschen, Zarganar mit einem Megafon in der Hand.
Die Soldaten der Regierung haben sich hier tief eingegraben. Wir passieren mehrere Checkpoints, hinterlassen Kopien meines Reisepasses und sehen Soldaten mit Maschinengewehren, wie sie hinter Sandsackbarrieren strategisch wichtige Brücken bewachen. Kurz vor Mawlamyine kommt uns auf den Gleisen neben der Straße ein Zug entgegen. Ein leerer Eisenwagen vor der Lok schützt den Triebwagen vor einem möglichen Bombenanschlag, indem er zuerst in die Luft fliegen würde
Um mich herum wirbeln die acht kleinen Mönche, die sich um ihren halbseitig gelähmten Abt kümmern. Plötzlich ist es mucksmäuschenstill und die Klostertüre wird geschlossen. Während ich meine Tagebuchnotizen in Ordnung bringe, schnarcht neben mir ein weiterer Gast so laut, dass der Fußboden vibriert. Am nächsten Morgen werde ich von den Mönchen geweckt. Im Dämmerschlaf lausche ich dem Morgengebet der acht Kleinen und sehe draußen den Tag anbrechen.
Am Fuße des Tagebaus stoße ich auf Chit Win, einen Burmesen mittleren Alters, der ein völlig durchlöchertes Hemd trägt. Er verwertet die Reste, die die Chinesen zurücklassen. Chit Win lebt mit seiner Familie in einer windschiefen Holzhütte am Rande einer Mondlandschaft aus Hügeln und Wasserlöchern. Einzelne Bäume sind noch als Erinnerung an eine einstmals reiche Vegetation übrig geblieben. Auch er lebt vom Geschäft mit dem Weichmetall. „Schau hier, wir geben die kupferreiche Erde in ein Wasserbecken und das Wasser löst die Kupferreste aus den Erdbrocken.
Chit Win macht sich an die Arbeit. Mit bloßen Händen hebt er den Ofen an und die glutrote Kupferschmelze fließt in eine Auffangform. Seine beiden Kinder stehen kaum zwei Meter von diesem Hochofen aus der Bronzezeit entfernt und schauen zu. Keiner trägt Schutzkleidung, im Gegenteil, die Kinder rennen barfuß über die Baustelle und Chi Win trägt Sandalen.
Die Abendatmosphäre ist hinreißend schön. Impressionistische Maler hätten ihre wahre Freude an den ständig wechselnden Lichtverhältnissen gehabt. Die Backsteinmauern der Tempel in Bagan glühen bordeauxrot und werfen auf der der Sonne abgewandten Seite lange Schatten in die Graslandschaft.2 Reisebusse und private Taxis bringen Touristen zu den Ruinen und wirbeln den Staub auf den Wegen auf. Dieser hängt wie Nebelschwaden zwischen den Bäumen und zaubert etwas Unheimliches in die Landschaft.
Wie dem auch sei, ich verlasse das Land mit einem guten Gefühl. Ko Soe und seine Familie haben mich am letzten Abend zum Essen eingeladen. Ich trage meinen „Longyi“, was allerseits auf Zustimmung trifft. Schon auf der Straße grinsen mich die Leute an und nicken mir zu. Ein bisschen komisch komme ich mir schon vor. In seiner Wohnung tauschen Ko Soe und ich unsere Bilder aus und berichten seiner Familie von unserer Reise durch das „Land der goldenen Pagoden.